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Föderalismus                                            

 

 

 

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Ein später Erfolg

Die Entscheidungsfähigkeit der untergeordneten politischen Ebenen – Region und Provinz – zu verbessern, erweist sich im Augenblick notwendiger denn seit langem: In Rom zeichnet sich erneut eine immer größere Handlungsunfähigkeit ab.

Sowohl die Regierung wie ihre Parlamentskoalition zeigen sich „zerstreut". Im Ministerrat wurde dieser Tage eine Reform der Kinderkrippen vertagt, weil nicht geklärt werden konnte, ob zuerst der Minister für Wohlfahrt oder die Ministerin für Gleichstellung das Gesetz zu unterzeichnen hätten. Mehrfach hat die Regierung in der Abgeordnetenkammer trotz der großen zahlenmäßigen Übermacht Niederlagen hinnehmen müssen, weil ihre Abgeordneten mitsamt den Fraktionsführern während laufender Abstimmungen bei ihren Cappuccinos sitzen geblieben waren – weswegen jetzt die Schließung des Cafés erwogen wird ...

Der Ulivo hat nach wie vor weder seinen politischen Ort definiert noch seine künftige Strategie. Der Krieg in Afghanistan bringt das Bündnis wieder einmal an den Rand der Spaltung. Francesco Rutelli versucht, auf eine Linie der bedingten Unterstützung der Regierung einzuschwören, um Italiens weltpolitische Bedeutung mit zu gestalten. Die Verdi und die kleine kommunistische Partei Cossuttas sind – wie die Prc Bertinottis außerhalb des Ulivo – strikt gegen den Krieg und unterstützen die zahlenmäßig nicht unbedeutenden pazifistischen Strömungen im Land.

Staatsreformen sind allemal ein Jahrhundertwerk. Hinzu kommt hierzulande dann noch das besonders ausgeprägte Beharrungsvermögen aller gegenüber jedweden Veränderungen. Diesmal allerdings gibt es Chancen, dass es ein paar Schneckenschritte vorwärts geht mit der Umverteilung der Macht zwischen Rom und den Regionen und Provinzen.

Das Referendum zur Bestätigung des Föderalismus-Gesetzen am 7. Oktober stand selbstverständlich im Schatten der Weltereignisse. Aber im Grund war auch jede vorherige Diskussion überflüssig; den Sommer über war alles gesagt und eines jeden Position geklärt worden. Die Abstimmung selber war praktisch mit Beginn der Bombardierungen in Afghanistan zu Ende. Die letzten Stunden – in Italiens sind die Wahllokale bis 22 Uhr geöffnet – waren die Wahlhelfer mit sich allein. Insgesamt haben lediglich 34% der WahlbürgerInnen abgestimmt. Fast zwei Drittel haben mit „Ja" gestimmt.

Renato Mannheimer, einer der führenden Meinungsforscher Italiens, beurteilt dies aber uneingeschränkt positiv. Zum einen, weil trotz der aktuellen Situation mehr zur Abstimmung gegangen sind als beim letzten Referendum im Mai 2000. Zum anderen, dweil auch von den WählerInnen der centrodestra 40% mit „Ja" gestimmt haben. Er interpretiert es als Ausdruck eines großen Veränderungswillens unter der Bevölkerung sowie der Forderung an die PolitikerInnen, endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Mannheimer ist der Überzeugung, dass die relativ gute Beteiligung nicht trotz, sondern gerade wegen der Attentate zustande gekommen sei – Ausdruck dessen, dass die ItalienerInnen „ihre" demokratischen Werte verteidigen wollten.

Das Ergebnis ist jedenfalls ein nachträglicher Erfolg jener in der centrosinistra, die gegen alle inneren und äußeren Widerstände das Reform-Gesetz in letzter Stunde durchgeboxt hatten. Angesichts der hohen Zustimmung aus den Reihen der centrodestra-WählerInnen könnte es ihr auch als Kompass dienen für eine Strategie zur Rückeroberung der Macht.

Es ist auch deshalb ein wirklich wichtiger Erfolg, weil es dem Ulivo gelungen ist, fast alle Regions-Präsidenten der centrodestra auf seine Seite zu ziehen. Sieben von ihnen hatten ausdrücklich zur Unterstützung aufgerufen mit der Begründung, daß es immerhin ein kleiner Schritt vorwärts sei. Drei lavierten entschlusslos zwischen Lagertreue und Pragmatismus; nur einer, Venetos Präsident lehnte ab mit der Begründung, es sei bei weitem unzureichend.

Mit der gleichen Begründung will Lega nord-Parteichef Umberto Bossi, in der Regierung Berlusconi der „Minister für Reformen", die Umsetzung des Gesetz aufhalten und durch sein Devolutions-Projekt ersetzen: Diese Verfassungsreform bedarf ja nun der entsprechenden Ausführungsvorschriften. Statt diese erarbeiten zu lassen, wollen Bossi und die Lega nord innerhalb weniger Wochen im Ministerrat ein Devolutions-Gesetz verabschiedet sehen.

Das allerdings dürfte schwierig werden, denn innerhalb der centrodestra-Koalition gibt es nach wie vor konträre Auffassungen darüber, wie eine föderale Struktur des italienischen Staates auszusehen habe. Im Sommer war der Streit innerhalb des Regierungslagers um Inhalt und Verfahrensweisen so weit gegangen, dass selbst die Durchführung des Referendums zur Diskussion stand.

Auch unter diesem Aspekt ist der Erfolg, die Regionspräsidenten auf Seiten der Reform-Anhänger zu haben, möglicherweise von strategischer Bedeutung. In ihrem eigenen Interesse werden sie sich mit allen Mitteln dagegen wehren, dass aufgrund wechselseitiger Blockaden im Regierungslager die Umsetzung von wenigstens „irgend etwas" auf die lange Bank geschoben wird. Die Präsidenten des Piemont und der Lombardei haben sich gerade in Fragen der Autonomie noch selten gescheut, sich auch mit Berlusconi selbst anzulegen oder gegen die Parteiräson zu verstoßen.

Die aktuelle Stärke der Regionspräsidenten gegenüber Rom ist übrigens selbst Ergebnis eines „Reförmchen", mit dem vor einigen Jahren schon mal ihre Direktwahl eingeführt worden war, statt auf den „großen Wurf" zu warten.

                     © Annemarie Nikolaus, Oktober 2001

 

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 19/12/06