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Beschäftigungspolitik                                            

 

 

 

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Gewerkschaften, Arbeitsmarkt und Wettbewerb

 

Eine Streikwelle wie in alten Zeiten hat den Jahresbeginn gekennzeichnet. Vom Putzpersonal der Staatlichen Eisenbahnen über die Stadtpolizisten, die Banken, die Post, bis hin zum technischen Bühnenpersonal der Mailänder Scala gab es allerorten immer wieder Arbeitsniederlegungen.

Doch diesmal ging es nicht nur um Löhne, Pensionen und Tarifverträge (dies auch). Im Mittelpunkt stand der Protest gegen die Arbeitsmarktpolitik der Regierung. Berlusconi will einerseits die Wettbewerbsfähigkeit der italienischen Wirtschaft verbessern; andererseits auch die Arbeitslosenquote verringern. Um beide Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen, ist seine Strategie, mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Die von den Gewerkschaften organisierte Streikwelle war die Kampfansage der "Arbeitsplatzbesitzer" gegen die Absicht der Regierung, den Arbeitsmarkt beweglicher zu gestalten. Im Kreuzfeuer vor allem die vorgesehene Einschränkung des gesetzlich verankerten Kündigungsschutzes. Der Artikel 18 schützt bislang vor Kündigungen "ohne triftigen Grund" bzw. garantiert die Wiedereinstellung, wenn sich der Grund als nicht gerichtsfest erweist. Das soll eingeschränkt werden. Von Seiten der Gewerkschaften wird die Auffassung vertreten, dass unternehmerischer Willkür Tür und Tor geöffnet würde, wenn das Kriterium "triftiger Grund" aufgeweicht werde. Sie befürchten, dass künftig ganz nach Opportunität entlassen werden könne. Bislang wird ein Unternehmen selbst solche Beschäftigte praktisch nicht los, die es sie gar nicht mehr gebrauchen kann, z.B. weil sich die Marktlage geändert hat oder die Produktionsbedingungen, oder … Überspitzt gesagt, solange der Chef nicht pleite ist, braucht sich der Beschäftigte um seinen Arbeitsplatz keine Sorgen machen. Das Problem ist nur: Manchmal geht er pleite, weil er sich mit dem vorhandenen Personal nicht der Marktlage anpassen kann.

Die wesentlichen Veränderungen werden aber durch eine andere Maßnahme entstehen: die erweiterten Möglichkeiten für Zeitarbeitsverträge. Teilzeitarbeit und befristete Verträge sind in Italien bislang zu vernachlässigende Erscheinungen. Im vergangenen Jahr sind in Italien 434.000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden: Vier Fünftel dieser Neueinstellungen waren unbefristete Arbeitsverträge für Vollzeitstellen.

Die Regierung geht davon aus, dass mit dem neuen Dekret sich diese Verhältnisse umkehren werden und innerhalb von zehn Jahren ein wirklicher "Markt" entstehen wird. Künftig sind befristete Arbeitsverträge nur unzulässig als Ersatz für streikende Beschäftigte, oder wenn es im Halbjahr zuvor kollektive Entlassungen für den gleichen Funktionsbereich gegeben hatte.

Die Gewerkschaften bestreiten natürlich vehement, dass die Möglichkeit, einfacher zu entlassen oder Verträge zu befristen, zu mehr Beschäftigung führen könnte, und führen ihren Kampf unter dem Slogan "Gegen die Aushöhlung der Rechte der Beschäftigten".

Wohlfahrtsminister Maroni verstand die ganze Aufregung nicht; Produktionsminister Marzano meinte gelassen, es gebe nun mal das Streikrecht. Also sollten die Gewerkschaften halt streiken, auch wenn es zu Unbequemlichkeiten für die Bevölkerung führe. Mit anderen Worten: Die Regierung wartet in aller Ruhe darauf, dass sich die Proteste tot laufen und macht dann weiter mit ihren Plänen.

Nüchtern betrachtet, und im Vergleich mit anderen Länder, ist es ja durchaus vorstellbar, dass mit größerer Flexibilität zumindest in Zeiten guter Konjunktur die Arbeitslosenquote deutlich sinkt. Heutzutage fühlen sich die großen Unternehmen "gezwungen", Produktionsspitzen mit Überstunden abzufangen.

Notenbankchef Antonio Fazio ist seit Langem in dieser Frage ganz parteiisch: "Da ein Unternehmer weiß, falls er jemanden einstellt, dann muss er ihn 40 Jahre lang behalten, stellt er niemanden ein." In seinen Augen eine der wesentlichen Wachstumsbremsen.

Die italienischen Wirtschaftsdaten sind zwar zur Zeit noch relativ gut - beispielsweise im Vergleich zu den deutschen. Aber die im letzten Herbst vom Wirtschaftsminister prognostizierten 2,3% dürften nicht erreicht werden.

Ein Teil der italienischen Wirtschaft stellt sich immer noch als Koloss dar, der aus den Staatsbetrieben hervorgegangen oder immer noch Staatsbetrieb ist. Schwerfälligkeit gegenüber den immer schneller wechselnden Erfordernissen des globalen Marktes lässt ihn stagnieren. Und zumindest ein Teil der Umstrukturierungsprobleme ist auf die starren Arbeitsmarktregeln zurückzuführen.

Auch der Mittelstand ist schwerfällig und tendenziell konservativ. Seit vielen Regierungen wird daran gearbeitet, das System der Berufskammern abzuschaffen oder zumindest so zu reformieren, dass es ins europäische Gefüge passt. Stattdessen streben neu entstehende Berufe wie der des "Beraters" danach, sich gleichfalls eine berufsständische Kammer zu schaffen. Sie haben für Gewerbe und freie Berufe die Funktion von Gewerkschaften, und so verhalten sie sich auch.

Dabei taugen diese Kammern längst nicht mehr dazu, Honorarstandards zu sichern. Aber sie schränken selbst im eigenen Land die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischen Konkurrenten ein: Während - beispielsweise - eine hiesige Firma bei Ausschreibungen nur für die Kategorien bieten darf, für die sie zugelassen ist, gelten diese Vorgaben nicht für die Firmen anderer EU-Staaten. Auch auf diese Weise wird ein mögliches Mehr an Beschäftigung für italienische ArbeitnehmerInnen blockiert.

 

 

© Annemarie Nikolaus, Februar 2002

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 19/12/06