Flaggschiff in Not

Während Ferrari mit entsprechenden finanziellen Einsatz glorreich seine Weltmeister-Titel verteidigte, geriet die PKW-Branche des FIAT-Konzerns in immer größere Schieflage. Der Star unter den großen italienischen Familienkonzernen droht gar mit dem Ausverkauf.

Verscherbelt wird auf jeden Fall erst einmal das Tafelsilber. Knapp 49% von Ferrari sind Ende Juni einer Bank zur Platzierung an der Börse überlassen worden; Fiat erhofft sich davon eine Finanzspritze von einer Milliarde Euro, um die operativen Verluste wenigstens etwas zu beschränken. Die Fiat-Aktie ist derweilen auf ihren Stand von 1985 gesunken.

Noch im Juli hatte sich Produktionsminister Antonio Marzano versichern lassen, dass Fiat italienisch bleiben werde. Aber General Motors hat eine Kaufoption für 2004, und einige der Fiat-Aktionäre wünschen sich derzeit nichts lieber, als das diese vorgezogen würde; alle anderen Branchen des Konzerns (v.a. Nutzfahrzeuge, Energie, Montedison, Zeitungen, Versicherungen) sind gewinnbringender als die Autos. Patriarch Umberto Agnelli, kürzlich aus den USA zurückgekehrt, sieht allerdings keine Chance, den Prozess zu beschleunigen. Eher geht es mittlerweile in die Gegenrichtung. GM hat den Wert seines Besitzes an Fiat um über 90% nach unten berichtigt und gleichzeitig erklärt, dass die Verkaufsoption nicht mehr gälte, wenn sich die Besitzverhältnisse bei Fiat ändern würden.

Die Besitzverhältnisse bei Fiat ändern, das war aber eine der wesentlichen Ideen der italienischen Regierung, um die nationale Autoproduktion zu retten: Sviluppo Italia sollte sich einkaufen. Sviluppo Italia ist ein - bislang dahindümpelndes - Staatsunternehmen, das gegründet worden war, um die wirtschaftliche Entwicklung im Mezzogiorno voranzubringen. Das wäre die eleganteste Lösung gewesen, Fiat von Staats wegen zu unterstützen, ohne mit den EU-Richtlinien zu kollidieren.

Im Übrigen bleiben vor allem flankierende Maßnahmen wie Förderprogramme für Innovationen und Neuentwicklungen, in der Hoffnung, damit die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Doch kurzfristig hilft das natürlich nicht weiter.

Die letzte Maßnahme der Regierung, den Autoabsatz zu fördern, war die "Öko-Initiative", um den Wechsel zu einem Kat-Auto zu beschleunigen. Diese Aktion hat aber in erster Linie den ausländischen Marken genutzt. Während der Autoverkauf insgesamt um fast 3,4% gestiegen ist, hat Fiat 3% weniger verkauft als im September des Vorjahres. Mittlerweile liegt der Marktanteil von Fiat deutlich unter 30%. Die größten Einbrüche gab es bei Alfa Romeo und Fiat, während sich die Nobelmarke Lancia halbwegs behaupten konnte.

Fiat versucht sich nun im Spagat: Einerseits in Neuentwicklungen investieren; andererseits sparen durch die traditionelle Lösung Senkung von Personalkosten und Schließung „unrentabler" Produktionsstätten. Bis 2006 soll es zwanzig (!) neue Autotypen geben und gleichzeitig hat Fiat offiziell „Krisenzustand" angemeldet, um in den Genuss der dafür vorgesehenen Staatsgelder zu gelangen.

800 Millionen Euro sollen noch im laufenden Jahr durch „Restrukturierung" eingespart werden: Betroffen ist mehr als ein Viertel der rund 35.000 Beschäftigten.

Selbstredend wird an allen Fiat-Standorten immer wieder stundenweise gestreikt; gemeinsam mit den solidarischen Anwohnern werden Autobahnen, Eisenbahnlinien und - auf Sizilien - Hafenzufahrten blockiert.

Natürlich ist die Opposition einer Meinung mit der Mehrheit, dass die Rettung der Arbeitsplätze absolute Priorität genieße. Kommunisten-Führer Fausto Bertinotti (Rifondazione comunista) begrüßt vehement die Hypothese einer Verstaatlichung und hat die Regierung aufgefordert, dazu einen strategischen Plan im Parlament vorzulegen.

Auf Seiten des Ulivo schwanken die Bewertungen aber zwischen „konfus" und „Pflaster". Massimo d‘Alema äußerte in aller Ernsthaftigkeit den Verdacht, dass es Berlusconi in dieser Krise weniger darum ginge, die italienische Industrie zu retten, sondern in erster Linie um die Gelegenheit, die Unabhängigkeit von "Corriere della Sera" und "Stampa" zu beseitigen.

Bisher allerdings war es lediglich FIOM-Gewerkschaftsführer Giorgio Cremaschi, der den Verkauf einer der Zeitungen - der „Stampa" - gefordert hatte; desgleichen den Rückzug aus anderen Beteiligungen wie der am Fußballclub Juventus Turin, aber auch den anderen autofremden Branchen.

Den Industriegewerkschaften geht es natürlich in erster Linie um den Erhalt der Produktionsstandorte. Sie haben den Verdacht, dass der Antrag auf Kurzarbeit mit Null Stunden keineswegs dazu dienen soll, die Phase der Restrukturierung zu überbrücken, sondern bloß die Entlassungen um ein oder zwei Jahre hinausschieben wird. 7600 Beschäftigte sollen ab Anfang Dezember auf „Kurzarbeit mit Null Stunden" gehen. Für 500 sind Mobilitätszuschüsse zur Abfederung der Entlassung beantragt worden; schon für 2.800 hatte Fiat allein dieses Jahr „Mobilität" beantragt und erhalten.

Besonders prekär ist die Situation am Alfa-Standort Arese bei Mailand, von wo ein Teil der Produktion nach Turin verlegt werden soll, und in Termini Imerese bei Palermo, wo mit der Einstellung der Fiat Punto-Produktion das gesamte Personal zu Hause bleiben soll. Praktisch wird damit ausgerechnet im Mezzogiorno ein Werk geschlossen.

Luigi Purpi (Forza Italia), der Bürgermeister von Termini Imerese, ist in Hungerstreik getreten. Für den Fall der Schließung hat er die Besetzung der Fabrik angekündigt.

 

© Annemarie Nikolaus, Oktober 2002