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Justiz II                                            

 

 

 

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Großreinemachen

Mehr als sechseinhalb Millionen Euro schuldet der italienische Staat inzwischen BürgerInnen, die sich durch extreme Länge und Langsamkeit von juristischen Verfahren geschädigt fühlen. Im April vor zwei Jahren war ein Gesetz in Kraft getreten, dass einen Ausgleich bei Überschreitung der „vernünftigen Dauer eines Prozesses" vorsieht. In mehr als 1800 Fällen ist der Staat inzwischen zum Schadensersatz verurteilt worden. Böse Zungen behaupten, schon habe es erste Pfändungen von Computern und Mobiliar im Justizministerium gegeben, ja sogar Zahlungsklagen gegen Justizminister Roberto Castelli (Lega nord).

Die Erfindung der Langsamkeit kann man getrost der italienischen Justiz zuschreiben. Allein die palermitanischen Mafia-Prozesse gegen Giulio Andreotti ziehen sich mittlerweile mehr als zehn Jahre hin; manches Verfahren gegen Silvio Berlusconi geht auf über 20 Jahre zurückliegende Tatbestände zurück. Selbst einfache Zivilverfahren beschäftigen die Gerichte jahrelang.

Dass es schneller gehen müsse, darin sind sich alle einig. Es gibt eine Reihe von Vorschlägen, z.B. bei Verfahren von minderer Relevanz statt langer Verhandlungen sich zwischen Anklage und Verteidigung auf eine Absprache zu einigen. Die Regierung setzt dagegen darauf, die Gerichte dadurch zu entlasten, dass bestimmte Verfahren überhaupt nicht eröffnet werden.

Der neueste Vorschlag Silvio Berlusconis ist, der Anklagevertretung – und nur dieser Verfahrenspartei – den Gang vor das Kassationsgericht zu verwehren: Damit wäre der zweitinstanzliche Freispruch Andreottis in Palermo nicht revidierbar. - Sodann soll die Immunität für Abgeordnete wieder eingeführt werden: Sie war einst abgeschafft worden, als immer offensichtlicher wurde, wie korrupt und korrumpierbar die ehrenwerten Vertreter des Volkes waren. Entscheidungen wie das Urteil von Palermo scheinen allerdings auch zu bestätigen, dass es zwecklos sei, sich mit Jahrzehnte zurückliegenden Vorfällen zu befassen. Das wachsende Desinteresse der ItalienerInnen an den ewig währenden Verfahren von Anno Tobak begünstigt daher Absichten, die Justiz zu entmachten und unauffällig die Vergangenheit insgesamt zu erledigen.

Nicht nur die Eröffnungsreden zur diesjährigen Sitzungsperiode der Gerichte im Januar waren deshalb von Protesten geprägt: Der Generalstaatsanwalt von Piemont und Val d' Aosta, Gian Carlo Caselli, hatte öffentlich kritisiert, dass die umgesetzten oder geplanten Reformen vorwiegend oder gar ausschließlich jenen Angeklagten dienten, die etwas zählten.

In Turin präsentierten sich die Richter demonstrativ mit der Verfassung unterm Arm. In Mailand und Trento wurde die Eröffnung von „girotondi" begleitet: Der Regisseur Nanni Moretti hatte letztes Jahr die „girotondi" – Ringelreihen – als Protestform gegen das im Herbst verabschiedete „Gesetz Cirami" erfunden, das den Angeklagten mit der wachsweichen Konstruktion des „berechtigen Zweifels" an der Unparteilichkeit des Richters ermöglichen soll, auf die Wahl des Gerichtsorts Einfluss zu nehmen.

.Das Problem ist nur, dass man sich zuweilen wirklich fragen muss, wie unparteiisch die Gerichte sind: Drei Monate vor dem Freispruch von Palermo war in Perugia die Begründung für das Urteil gegen Andreotti zum Mord an Mino Pecorelli veröffentlicht worden - 24 Jahre Haft für den Senator als „stillschweigendem Auftraggeber": Andreotti habe wohl nicht den direkten Auftrag erteilt, so das Gericht; aber im Gegensatz zur Mafia und den Mördern ein Interesse an der Beseitigung des Journalisten gehabt. - Pecorelli hatte angefangen, Verwicklungen zwischen der Loge P2, Politik und Mafia zu recherchieren. -Daher habe es mindestens sein stillschweigendes Einverständnis gegeben. – Der Freispruch von Palermo ist hingegen eher einer gewissen parteilichen Herangehensweise der Staatsanwaltschaft im Vorfeld geschuldet, da sich die Anklage ungeschickt auf die Aussagen von Kronzeugen stützte, die dem Gericht schon auf Grund ihrer Position in der Hierarchie der Cosanostra zweifelhaft erscheinen mussten.

Justizminister Castelli polemisiert immer offener gegen die Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte, bezichtigt sie inzwischen gar der Subversion und hat Disziplinarmaßnahmen angekündigt: Der pensionierte Mailänder Staatsanwalt Gerardo D’Ambrosio, beklagte sich Castelli, würde jedes Gesetz kritisieren, dass diese Regierung vorlege. Die Regierung dagegen betreibt, wie im Fall des Abgeordneten Previti, immer häufiger Urteilsschelte.

© Annemarie Nikolaus

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 16/01/07