Delta3.jpg (68718 Byte)

Alltag                                            

 

 

 

Home
Nach oben
Zum Web-Inhalt
Veröffentlichungen
Disclaimer

Wechselbad 

    Als der Wecker klingelt, dreht sich Christina zu ihrem Mann um und gibt ihm einen Kuss. Michael reagiert mit einen müden Brummlaut. „Heut‘ wird mein großer Tag", sagt sie und schmiegt sich an ihn. „Wenn der Italiener erst mein Werbekonzept gesehen hat…" Schwungvoll setzt sie sich und steht auf.

    Sie holt ihr neues Kostüm aus dem Schrank und dreht sich damit vor dem Spiegel. „Wie findest Du das?" Michael brummt erneut: „Warum stehst du denn schon auf? Du hast doch noch so viel Zeit."

    Christina geht lachend in die Küche und macht sich erst mal einen Kaffee in der Espresso-Maschine. Danach setzt sie fürs Frühstück die deutsche Kaffeemaschine in Gang und geht ins Bad.

    Als sie, dezent geschminkt und mit dem neuen Kostüm angetan, in die Küche zurückkehrt, hat Michael den Frühstückstisch gedeckt und holt gerade die Croissants aus dem Backofen. „Wunderbar schaust du aus!", sagt er. „Aber jetzt frühstücke erst mal, damit du innerlich genauso in Form bist wie äußerlich."

    „Wenn der Manconi erst mein Werbekonzept akzeptiert hat," knüpft Christina an ihre Gedanken nach dem Aufwachen an, „kann Thomas gar nicht anders, als mich zu seiner Partnerin in der Agentur zu machen. Dann trag‘ ich nur noch solche sündteuren Klamotten " Schwungvoll greift sie nach der Kaffeekanne, um sie auf den Tisch zu stellen; - macht eine unbedachte Bewegung und kippt sich den frischgebrühten Kaffee über die Kleidung.

    Sie schreit entsetzt auf und lässt die Kanne fallen.   Michael stöhnt auf: "Der Tag fängt ja gut an!"

    Christina wehrt ihn ab, als er sich mit einer hilflosen Geste anschickt, ihr Kostüm zu säubern: „Das nützt doch nichts; jetzt muss ich das Kostüm anziehen, was ich schon letztes Mal trug, als Manconi da war. – Und zu spät komme ich auch noch! Verdammte Hacke! "

 

    Kurz nach Neun stürzt Christina außer Atem in die Agentur. Thomas fängt sie mit grimmigem Blick vor ihrem Büro ab. „Mädchen, die Sitzung war für neun Uhr angesetzt und vorher wollten wir doch deine Präsentation ein wenig ändern. Da sind noch einige Schwachstellen drin; und nun kommen wir nicht mehr dazu. Du hast mehr Glück als Verstand, dass Signor Manconi auch noch nicht da ist." Christina greift sich ihre Unterlagen und eilt mit Thomas ins Sitzungszimmer.

    Endlich, kurz nach halb Zehn, kommt Dario Manconi. Er hüstelt ein wenig: „Guten Morgen. Entschuldigen Sie, dass ich Sie so lange warten ließ. Mir ist im Hotel leider ein kleines Missgeschick passiert. Und nachdem ich mir mit dem Frühstückskaffee das Hemd ruiniert hatte, musste ich warten, bis ein Page mir ein neues kaufen konnte." – Christina beißt sich auf die Lippen, um ihr Lachen zu unterdrücken.

    „Aber ich bitte Sie", sagt Thomas zuvorkommend. „Das kann doch jedem mal passieren!". - Christina dreht sich schnell zur Seite und beugt sich über ihre Overhead-Folien. Sie bemüht sich angestrengt, ihr Grinsen in ein bezaubernden Lächeln zu verwandeln. Dann beginnt sie ihre Präsentation.

    „Wie wir ja alle wissen, ist gerade im Bereich der Kosmetik die Markentreue der Kunden sehr hoch. Nicht zuletzt deshalb, weil die Wahl mehr von psychologischen Faktoren als von qualitativen oder ästhetischen Argumenten geleitet wird. Daher habe ich mir erst an zweiter Stelle Gedanken darüber gemacht, mit welchen Argumenten oder mit welchem neuen Image wir den Marktanteil Ihrer Produkte signifikant steigern könnten. Vorrangig habe ich untersucht, in welchem Kundensegment zur Zeit die höchsten Steigerungsraten für den Absatz von Kosmetika zu erzielen sind und welches Selbstbild wir in diesem Kundensegment antreffen. Als Ergebnis dessen will ich Ihnen ein Konzept vorschlagen, dass auf die jüngeren Männer der mittleren Einkommensklassen zielt…."

    Manconi unterbricht sie: „Es sind aber die Frauen, die die Badezusätze kaufen!"

    Christina lächelt ihm freundlich zu: „In Haushalten, in denen es eine Frau gibt! Hierzulande gehen die Uhren aber anders als in Italien. Darum haben sie ja auch uns als einheimische Agentur eingeschaltet, nicht wahr? Während bei Ihnen in den letzten Jahren die Zahl der jungen Männer, die bis Mitte Dreißig zuhause bei den Eltern wohnen, ständig gestiegen ist, gibt es bei uns immer mehr Single-Haushalte."

    Aus Manconis anfänglicher Skepsis wird im Laufe von Christinas Vortrag immer deutlicher Begeisterung. Am Ende steht er auf und gibt ihr die Hand: „Also wirklich, so habe ich meine Badeöle noch nie gesehen. Wirklich pfiffig, Ihr Konzept! – Können Sie mir für die Fußcreme etwas genauso Geniales hinlegen?"

    Es ist fast Mittag, als Signor Manconi hochzufrieden geht. Er hat gleich noch einen zweiten Vertrag mit ihnen abgeschlossen. Thomas und Christina fallen sich begeistert in die Arme. Thomas strahlt: „Das hast du prima hingekriegt; ist ja noch viel besser gelaufen, als ich gehofft hatte. Noch ein paar solche Kunden, und wir haben die nächsten Jahre keine Sorgen mehr. – Was machst du jetzt? Hast du Zeit, mit mir essen zu gehen?" Selbstverständlich hat Christina Zeit…

 

    Als sie an ihrem Büro vorbeigehen, ruft Christinas Sekretärin: "Post ist gekommen!".

    Christina zögert einen Augenblick; doch dann antwortet sie: „Lass einfach alles liegen, wenn du gehst. Ich komme heute Nachmittag noch mal kurz rein; dann kümmere ich mich darum."

    Wie sie es erwartet hat, bietet Thomas an, seine Teilhaberin zu werden. Aber nicht nur das: Gleichzeitig schlägt er ihr vor, den gesamten Kosmetik- und Gesundheitsmarkt völlig selbständig zu betreuen. - Ausgelassen beenden sie das Mittagessen mit einer Flasche Champagner.

 

    In der Agentur zurück, greift Christina zum Telefon, um Michael anzurufen. Gleichzeitig beginnt sie, die Post durchzusehen: Darunter ist auch der Brief von der mediaresearch, auf den sie schon gespannt gewartet hat - endlich die Ergebnisse ihrer Fernsehkampagne für Orleans‘ neue Nagellacke.

    Michael hebt ab: „Ja Schatz?" fragt er, während sie gerade in den Unterlagen von mediaresearch blättert.

    „Geschafft", jubelt sie. „Michael, ich hab‘s geschafft!".

    „Wunderbar! Erzähl!" –

    In diesem Moment landet ihr Blick auf der Verkaufsstatistik für die Nagellacke: 10% weniger seit Beginn der Kampagne…

    „Was? - Entschuldige, Liebling, ich ruf dich nachher noch mal an."

    ,Das darf doch nicht wahr sein,‘ denkt Christina. Sie legt auf und schließt die Augen. Als sie sie wieder öffnet, ist die Zahl immer noch da: 10% weniger!

    ‚Thomas bringt mich um, wenn er das sieht! Unser größter Kunde, und so ein Desaster! – Hätt‘ ich bloß nichts getrunken – vielleicht fiele mir dann was Gescheites ein…‘ Ihre Gedanken wirbeln wild durcheinander; der Champagner lähmt ihr das Gehirn.

 

    Sie holt tief Luft; dann steht sie auf und geht mit dem Schreiben in der Hand zu Thomas. „Ähm, hast du gerade einen Moment Zeit?" fragt sie leise. „Ich glaube, wir haben ein Problem."

    „Ein Problem?" kommt sein Echo.

    „Ja, ich, ähm", druckst sie herum. Er sieht sie abwartend an. „Ja, ich habe gerade die Ergebnisse der Orleans-Kampagne bekommen. Sie sind schlicht verheerend."

    Thomas runzelt die Stirn. „Was heißt das?"

    „Der Verkauf ist um 10% gesunken!" antwortet sie kläglich.

    „So", sagt er. Und noch einmal nachdrücklich. „So. – Aha. - Und das ist das Ergebnisse unserer Kampagne?"

    „Hmpf?" Christina sieht ihn fragend an.

    Thomas grinst sie an: „Ja, warum meinst du, dass das an unserer Kampagne liegt? Seit wann glaubst du an Lasswells eindimensionale Theorie? - Hast du dir denn die zugehörigen Teleskopie-Daten angeschaut?"

    „Nein." Sie blickt immer noch ratlos drein. Dann geht ihr ein Licht auf: „Du meinst, unsere Kampagne hat gar nicht die potentiellen Käuferinnen erreicht? Aber das macht es doch auch nicht viel besser; das ist dann doch auch unsere Schuld."

    Thomas knurrt: „Aber nein. Wenn ich mich recht erinnere, hat Orleans selber die Sendeplätze entschieden. Und diese beiden neuen Vorabendserien, in denen sie die Werbung platziert haben, sind bestimmt zuviel technischer Krimskrams und Kampfgetümmel, um Frauen zu binden."

    „Das schaue ich mir gleich mal an."

    Im Archiv wälzt sie die Teleskopie-Daten der letzten Monate. Tatsächlich: Die Zuschauerstruktur hat sich erheblich verändert, seit im Herbst die beiden neuen Serien gestartet wurden. Montags und Donnerstags sitzen am frühen Abend fast nur Männer unter 40 vorm Fernseher, und auch an den anderen Wochentagen hat sich der Anteil der Frauen um ein Drittel verringert; gerade, als hätten sie es sich abgewöhnt, nach dem Heimkommen automatisch den Fernseher einzuschalten. ,Na‘, denkt sie, ‚da haben wir ja ganz nebenbei einen interessanten Sendeplatz für Manconis Badeöle gefunden.‘

    Zufrieden geht sie zu Thomas zurück. Der feixt: „Das ist ja noch eindrucksvoller, als ich vermutet habe. Ich hatte die Jungs von Orleans schon damals gewarnt, als ich die Vorankündigung für die Serien gelesen hatte. - Also, jetzt findest du noch heraus, wohin die Zuschauerinnen verschwunden sind. Dann schreibst du Orleans, warum die Kampagne nicht funktionieren kann, und schlägst andere Sendeplätze vor. Damit sind wir aus dem Schneider."

    Als Christina schließlich das Büro verlässt, fällt ihr ein, dass sie ganz vergessen hat, Michael noch einmal anzurufen. Nun ist es zu spät – und auch egal; sie würde ihn eh gleich sehen.

 

    Michael empfängt sie zuhause mit einem festlich gedeckten Tisch und einer Flasche Champagner. „Deine zusammenfassende Bemerkung heute Nachmittag legt nahe, dass wir einen Grund zum Feiern haben," begrüßt er sie.

    „Und wie!" antwortet sie überschwänglich. „ich erzähl dir nachher alles."

    „Was heißt nachher? Ich hab den Partyservice von der „Schildkröte" bestellt. In zehn Minuten kommen sie mit dem Menu."

    „Ich gehe noch einmal weg! Ich hab‘ doch Mutti versprochen, sie heute zu besuchen".

    Michael fällt aus allen Wolken: „Aber doch nicht ausgerechnet heute. Du konntest dir doch denken, dass heute ein besonderer Tag für uns werden wird. Sag ab!"

    „Aber es ist doch mein einziger freier Abend diese Woche; ich habe keine andere Gelegenheit. Und sie hat sich seit Tagen darauf gefreut, mich zu sehen, da kann ich ihr doch nicht von einer Minute zur andern absagen."

    Christina sieht seinen enttäuschten Blick und beeilt sich hinzuzufügen: „Ich verstehe ja deinen Frust. Du hast das so lieb hier vorbereitet. Tut mir leid, dass ich dich nicht noch mal angerufen habe, aber was soll ich denn jetzt machen?"

    „Eben," mault Michael, „dein einziger freier Abend! Und obendrein ein besonderer Abend! - - Isst deine Mutter Hummercremesuppe?"

    Christina lacht: „Grandios!. Wir laden Mutter zu unserem Gelage ein und anschließend setzen wir sie wieder ins Taxi. Sie ist zufrieden, dass sie mit uns feiern konnte, und wir machen uns noch einen schönen Abend."

 

© Annemarie Nikolaus, Juni 2001

 

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 16/01/07