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Ökonomische Erosionen

Italiens öffentlichen Verwaltungen haben jüngst einen neuen Rekord zustande gebracht: Ihre Schulden sind auf fast 1.500 Milliarden Euro gestiegen; 3,3% mehr als im Vorjahr.
Luca di Montezemelo, der erfolgreiche Ferrari-Chef, der jetzt auch Präsident des Industriellenverbandes Confindustria ist, hat daraufhin gedrängt, die europäischen Vorgaben einzuhalten. Ohne rigorose Maßnahmen für die öffentlichen Finanzen riskiere man eine Vertrauenskrise der Märkte; die Haushaltspolitik müsse das Wachstum unterstützen.

Der neue Wirtschaftsminister Domenico Siniscalco sieht ein zentrales Hindernis für den Aufschwung in der Preisentwicklung. „Da hat jemand übertrieben", erklärte er im Haushaltsausschuss. Präsident Ciampi stellte kürzlich fest, "jemand" habe sich an der Währungsumstellung bereichert und daher seien viele Touristen in andere Länder ausgewichen, wo die Preise besser sind als in Italien.

Die Kaufkraft stärken, um das Wachstum über den Konsum anzukurbeln; Steuern senken also: Berlusconi will einen Freibetrag von 7.500 Euro und dann drei unterschiedliche Steuersätze, maximal 39%.

Ein dennoch ausgeglichener Haushalt soll über massive Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben erreicht werden, da Italien inzwischen 5% seines BIP für die Schuldendienste ausgibt; deutlich mehr als andere europäische Länder. Die Sparmaßnahmen werden vor allem die Investitionskraft und den konsumtiven Bereich der öffentlichen Verwaltungen treffen. Aber die BürgermeisterInnen von 200 Städten haben sogleich in Rom gegen die geplanten Kürzungen demonstriert.

Die Regierung bemüht sich um die Quadratur des Kreises. Das neue Haushalts- und Wirtschaftsprogramm (DPEF 2005-2008) sieht Einsparungen von 24 Milliarden Euro vor, mit denen das Defizit dieses Jahr auf 2,9% begrenzt werden soll, im nächsten auf 2,7% statt der bislang drohenden 4,4%. Trotzdem erwartet der DPEF für nächstes Jahr eine Steigerung des BIP um 1,2%.
    Siniscalco versprach, dass es bei Schulwesen, Gesundheit, Sicherheit und Sozialleistungen keine Kürzungen geben wird. Leitlinie des Haushaltsprogramms seien die strukturelle Korrektur des Defizits, ein Programm für die „Entwicklung" (technologische Innovation, Forschungsförderung, Anreize für den Mezzogiorno und Steuerreform) und Reduzierung der Schulden.

Die EU hat sich zumindest für 2005 mit dem DPEF abspeisen lassen und auf den fälligen Blauen Brief verzichtet. Der italienische Rechnungshof dagegen hat das Haushaltsprogramm ganz unverhohlen zerpflückt. Er bezweifelt schlicht, dass das Sparprogramm überhaupt machbar sei.
    Die Rechnungsprüfer halten es nicht für glaubwürdig, dass noch in diesem Jahr Privatisierungen in Höhe von 20 Milliarden Euro durchgeführt werden könnten. „Schwierig" umzusetzen sei auch das geplante Sparprogramm, weil es in einem Umfang von 17 Milliarden auf Einschnitte bei laufenden Kosten setze, für die es kaum Spielräume gebe. Unmöglich, bei Gehältern und Sozialleistungen zu streichen. Ausdrücklich von Kürzungen ausgeschlossen worden ist zudem das Gesundheitswesen; und die Kosten internationaler Vereinbarungen sind auch nicht manövrierfähig. Unvernünftig sei es zudem, auf Wirtschaftswachstum als Motor für den Ausgleich des öffentlichen Haushalts zu setzen. Und die Einnahmen, insbesondere jene aus öffentlichem Vermögen, seien zu großzügig angesetzt.

Höflich wie Italiener sind, sagt der Rechnungshof nicht, dass die als „zeitweilig" deklarierten Sparmaßnahmen Augenwischerei sind. Er prophezeit lediglich, der aktuelle Stop für die Ausgaben werde dazu führen, dass sie in den Folgejahren umso höher steigen.

Auch mit der prognostizierten Stärkung der Kaufkraft wird es nicht weit her sein. Allein die Erhöhungen für Benzin, Gas, Strom und Heizung im Herbst dürften nach Berechnungen der Verbraucherverbände für die Durchschnittsfamilie zu jährlichen Mehrausgaben von 500 bis 600 Euro führen. Sodann wahrscheinlich höhere Fahrpreise bei den Eisenbahnen. Selbst die Schule ist nicht von Preissteigerungen verschont geblieben; Lernmittelfreiheit gibt es sowieso nur in der Grundschule. 

Um die großen nationalen Bauprojekte zu finanzieren, hat Infrastrukturminister Lunardi jetzt gar vorgeschlagen, zusätzlich zu den Autobahnen auf 4.500 km Staatsstraßen Maut zu erheben; und zwar ausgerechnet für die vierspurigen Umgehungs- und Verbindungsstraßen mit den höchsten Verkehrsaufkommen: Wenn die Pendler sich schon in den Stau stellen, sollen sie künftig auch dafür bezahlen.


                 © Annemarie Nikolaus, September 2004

 

- - - Kommentar dazu fürs Gästebuch

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 25/09/04